Stipendiat Muhammed Ali Sen war von August – Dezember 2019 in Singapur und berichtet:
Singapur ist ein Stadtstaat auf einer Insel am Südzipfel Malaysias. Die ehemalige britische Kolonie ist seit ihrem Austritt aus der malaiischen Föderation 1965 ein unabhängiges Land und hat seitdem eine bemerkenswerte ökonomische Entwicklung durchgemacht –vom „Fischerdorf“ zur Weltmetropole. Sprachlich gesehen ist Englisch insbesondere innerhalb der jüngeren Generation die Muttersprache und auch im Wesentlichen die gesellschaftliche Verkehrssprache. Dies sollte einen jedoch nicht täuschen, denn Singapurs Bevölkerung ist sehr divers. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Attraktivität entwickelte sich dieser Ort innerhalb kürzester Zeit zum Melting Pot Südostasiens. Chinesen, Malaiienund Tamilen sowie verschiedenste Bevölkerungsgruppen der Region und Expats aus aller Welt leben alle gemeinsam auf einem Fleck, der kleiner ist als Berlin. Dies spiegelt sich auch in der Varietät der vorhandenen Küchen wider. Es war eine große Freude, mich durch die verschiedensten asiatischen Küchen probieren zu können. Dank einer bevölkerungsstarken muslimischen Community war es zudem fast nie ein Problem, Halal-Optionen aller Gerichte finden zu können. Finanziell gesehen gilt Singapur zwar als eine der teuersten Städte der Welt, dies aber hauptsächlich aufgrund von Mieten und der hohen Autolizenzkosten. Denn das Essen sowie andere Dienstleistungen wie beispielsweise ein Haarschnitt können für unter 3€ gefunden werden. Wenn man die richtigen Orte kennt, ist Singapur also durchaus als eine bezahlbare Stadt zu bezeichnen. Abgesehen von alldem nutzte ich diegesellschaftliche Vielfalt Singapursauch, um mich mit anderen Religionen und Denktraditionen auseinanderzusetzen. Der Konfuzianismus, der Buddhismus sowie der Taoismus gehören u.a. zu den Denktraditionen, die ich durch den Besuch von zahlreichen Gebetsstätten und tiefergehenden Gesprächen mit praktizierenden Menschen näher kennen lernen durfte. Dieser Austauschprägte mich sehr und stellt für mich mit Hinblick auf die Zukunft eine wertvolle Bereicherung für das bessere Verständnis der Lebensweise dieser Menschen dar. Auch akademisch gesehen habe ich von meiner Zeit in Singapur sehr viel mitnehmen können. Das Yale-NUS College, an dem ich studierte, wurde 2013 als Kooperation zwischen der Yale-Universität in den USA und der National University of Singapur (NUS) gegründet. Es ist eines der ersten Liberal Arts Colleges in Asien. Im Konkreten heißt das, dass alle Studierenden in den ersten beiden Studienjahren eingewisses Kerncurriculum gemeinsam absolvieren (insbesondere Geisteswissenschaften, aber auch wissenschaftliche Methoden) und sich ab dem zweiten Jahr auf einen Major festlegen. Yale-NUS ist eine sehr junge Universität. Das heißt zum einen, dass viele organisatorische Abläufe noch nicht unbedingt sehr eingespielt sind und man als Austauschstudenthäufig seinen eigenen Weg finden muss. Zum anderen bedeutet es aber auch, dass die Studentenhier ungemein viele Spielräume haben. Es ist sehr einfach, Geld für eigene Projekte und Forschungsvorhaben, oder für die Organisation von Konferenzen und Vorträgen zu beantragen –sogar Essen und Getränke werden normalerweise finanziert. So konnte ich beispielsweise gemeinsam mit der dortigen Muslim Student Association einen Themenabend um die Auseinandersetzung zwischen Ghazali und Ibn Sina organisieren und anschließend mit Interessierten über das Werk Tahafut al-Falasifa (Die Inkohärenz der Philosophen) diskutieren. Die Atmosphäre vor Ortist im Allgemeineneine solche, die das Lernen sehr begünstigt.An der Yale-NUS leben nämlich alle Studenten amCampus. Man isst, schläft, lebt und lerntstets gemeinsam innerhalb einer akademischen Umgebung. Gewohnt habe ich in einer 6er-WG in einem der Studierendenwohnheime. Das war für mich, als jemanden der bis dato mit seiner Familie lebt, eine völlig neue und sehr interessante Erfahrung. Es dauerte in dieser Konstellation nämlich nicht lange, bis ich bestens vernetzt war und stets neue Freunde kennen lernte. Die zahlreichen Clubs, Interessensvertretungen und Aktivitäten rund um den Universitätsbetrieb haben das Kennenlernen vielfach vereinfacht, sodass keine Sorge nötigwurde, sich ausschließlich in einer Blase von Austauschstudenten wieder zu finden. Vom Studienpensum her wurde ich ehrlich gesagt stärker beansprucht, als ich es aus Berlin kannte. Die Seminare sindklein und ziemlich intensiv. Im Laufe des Semesters häufen sich zeitweise Projekte, Quizze, Präsentationen, Abgaben und Klausuren. Gleichzeitig stellen ca. 100 Seiten Lektüre pro Kurs pro Woche keine Besonderheit dar. Nichtsdestotrotz war nach einer gewissen Eingewöhnungsphase sowie einer guten Arbeitshaltung und Motivation auch dies gut zu bewältigen. Besonders hilfreich für die Reduzierung des Stresses waren hierbei kurzzeitige Reisen. Da Singapur sich geographisch gesehen inmitten einer Vielzahl von Ländern befindet, stellte sich das Reisen in benachbarte Staatenals eine große Leichtigkeit dar. So konnte ich u.a.Malaysien, Indonesien, Thailand und viele weitere hochspannende Orte besuchen. Auch diese Reisen stellen für mich Erfahrungen dar, die ich für meine zukünftige persönliche Entwicklung als sehr wertvolle Bereicherung betrachte. Insgesamt war meine Zeit in Singapur unbeschreiblich aufregend, vielseitig, gelegentlich stressig und überfordernd, aber insgesamt eine unvergleichbar tolle Erfahrung, welche mir die Türen zu neuen Kulturen und Interessen geöffnet hat. Nicht nur akademisch, sondern auch persönlich habe ich mich in den fünf Monaten im Ausland verändert und weiterentwickelt. Viele großartige Erinnerungen und Freundschaften nehme ich wieder mit nach Berlin. Mein Dank gilt bei alle dem dem Avicenna-Studienwerk, ohne dessen Unterstützung diese einmalige Erfahrung für mich nie möglich wäre.