Unsere Stipendiatin Sina Hassene Daouadji war vom 3. Februar – 30. Juni 2020 im Rahmen eines Erasmussemesters in Lüttich, Belgien an der École supérieure des Beaux-Arts de la ville de Lìege (ESAVL) und berichtet:
Im Sommersemester 2020 fand mein Erasmussemester in Lüttich in Belgien an unserer Partnerhochschule École supérieure des Beaux-Arts de la ville de Lìege“, kurz ESAVL, statt. An meiner Heimathochschule in Trier studiere ich Kommunikationsdesign. Mein Aufenthalt vor Ort dauerte 1 1/2 Monate an, die restliche Zeit verbrachte ich, aufgrund der eingetretenen Corona-Pandemie, im Fernunterricht in Deutschland.
Die „Académie Royale des Beaux-Arts de Liège“ bildet das Zentrum der künstlerischen Ausbildung in der ganzen Provinz von Lüttich. Die in 1775 gegründete Kunsthochschule bietet Studierenden ein 3-jähriges Bachelorstudium, sowie ein 2-jähriges Masterstudium in folgenden Studiengängen: Bildhauerei, Malerei, Illustration, Bildbandgestaltung, Originalgrafische Drucktechniken, Grafikdesign, Zeichnen, Videografie, Bühnengestaltung. Das Neorenaissancegebäude wird nicht nur als Veranstaltungsort der Universität angesehen, sondern beherbergt auch Klassen einiger Mittel- und Oberschulen der Stadt, sowie freier Kunstunterricht, vergleichbar mit Kursen einer Volkshochschule. Meinen Stundenplan füllten die Fächer Grafikdesign, Malerei, Zeichnung, Illustration und Französisch. Da ich an meiner Heimathochschule auf technischere Fächer fokussiert bin, wollte ich die Gelegenheit nutzen, um ein Semester freien und künstlerischen Input zu bekommen, um kreativ zu experimentieren. Weiterhin habe ich mich sehr gefreut, meine Französischkenntnisse im Alltag, sowie im Sprachkurs, auffrischen und verbessern zu können. Der Sprachkurs war sehr anspruchsvoll, doch am Ende ist, trotz des schwierigen Niveaus, das Bestehen der Prüfung gelungen. Schade fand ich, dass kaum Erasmus Studierende an der Hochschule aufzufinden waren. Auch viele der Lehrenden waren nicht auf den internationalen Austausch vorbereitet. In Zukunft würde ich mir einen regen Erasmus Austausch wünschen.
Auffällig am Hochschulleben in Lüttich ist der lange Aufenthalt in den jeweiligen Ateliers. Unterrichtseinheiten à 4 Stunden sind eingeteilt in die Vormittagseinheit, dann eine Stunde Mittagspause, danach die Nachmittagseinheit bis 17:30. Weiterhin dient der Atelierraum auch als Aufenthalts- und Arbeitsraum, denn gearbeitet wird in den langen Unterrichtseinheiten am jeweiligen Platz, weder wirklich zuhause (gelegentlich), noch in anderen „neutralen“ Räumen. Ich konnte keine allgemeinen Arbeitsräume zur freien Verfügung finden, neben Fachräumen und der Bibliothek, welche jedoch als ruhiger Ort für wissenschaftliche Recherche genutzt werden. Bewundernswert an der Lütticher Kunsthochschule finde ich die allgemeine Ausstattung der Fachräume. Von digital bis analog, den Studierenden sind keine Grenzen gesetzt, neben ihren eigenen Materialien, auch die Ausstattung der Hochschule zu verwenden. Aus nachhaltiger Perspektive finde ich den Stauraum für übriggebliebene Materialien, die zur freien Verfügung stehen auch sehr sinnvoll. Grade als Auslandsstudentin, mit wenig Geld zur Verfügung, fand ich es unglaublich nett, ohne Probleme mit Materialien zu experimentieren.
Eine Mensa gibt es an der Uni nicht. Immer donnerstags kommt ein alter Mann und macht kostenlos Nudeln für die Studierenden. Ein wahrer Akt der Barmherzigkeit.
Die Hochschule sitzt auf dem äußeren Bergring um Lüttich, und macht eine Anfahrt, auch mit dem Bus, schwierig. Doch ein Straßenbahnnetz ist gerade im Bau! Bald gibt es weniger Autos – und mehr Tram! Und eine bessere Verbindung zur Hochschule.
Von Semesterbeginn an, habe ich meine 1 1/2 Monate in einem zwei-stöckigen Innenstadthaus verbracht. Meine beiden permanenten Mitbewohner waren Zacarias aus Jerez, Spanien und Antonis aus dem Nordosten Griechenlands. Zusätzlich hat Louis aus Brüssel ein Monat bei uns gewohnt, um sein Praktikum zu absolvieren. Mit allen habe ich mich super gut verstanden und durfte viele tiefsinnige Gespräche führen. Im Vergleich zu belgischen Studierenden, welche nur in einem Fachbereich studieren, hatte ich das Gefühl, dass ich selbst meine Projekte vergleichsweise nicht so intensiv angehen konnte. Grund dafür war die geringere Anzahl an Unterrichtsstunden in einem Fach in der Woche, aber gleichzeitig die hohe Anzahl von fünf verschiedenen Fächern insgesamt. Das mag bei uns der Normalzustand von allgemeiner, vielfältiger Ausbildung sein, jedoch wird an der ESAVL eine konzentrierte, spezialisierte Ausbildung bevorzugt.
Highlight des halben Jahres waren auf jeden Fall die zahlreichen Ausstellungsbesuche, die ich in Lüttich, Brüssel, Bonn, Köln und sogar London verbringen durfte. Gerade das Victoria & Albert Museum in London, welches Kunst und Designprodukte aus verschiedensten Ländern und Epochen beherbergt, war sehr lehrreich. Dieser, sowie der Besuch in den Royal Botanical Gardens hat die Fragen aufgeworfen, inwiefern vor Ort nicht aufgeklärt wird, dass die Beschaffung der meisten Ausstellungsstücke, gerade in den Gärten, zu imperialistischen Hochzeiten getätigt wurde. Obwohl auch die Haltung außerhalb des natürlichen Lebensraums Vorteile hat, finde ich, sollte kritisch über diese Art von Sammlungen gesprochen werden, während man sie besucht.
Ab der zweiten Märzwoche wurde nach und nach der Fernunterricht via E-Mail, Skype und Discord zwischen Studierenden und Lehrenden der ESAVL eingeführt. Die Bildungseinrichtungen haben nämlich ab dem 15.03. schließen müssen. Einmal bis mehrmals in der Woche wurde mit geringerer Frequenz als im normalen Unterricht, sich zu ähnlichen Kurszeiten ausgetauscht und gearbeitet. Ich fand es sehr schwierig, die gleiche Motivation zuhause, in Kaiserslautern bei meiner Familie, aufzubringen, wie im Hochschulumfeld in Lüttich. Da die Lehrenden in den ersten Wochen genauso planlos waren, wie die Studierenden, konnte man spüren, dass alle mit der Situation zu kämpfen hatten. Doch die meisten (nicht alle) Dozent:innen hatten Verständnis für die Situation und haben versucht, einen sicheren und führenden Arbeitsrahmen zu schaffen. Die Rahmenbedingungen haben
mir geholfen mich selbstständig in meinen Designfähigkeiten weiterzuentwickeln. So habe ich die Chance bekommen, bei mehreren externen Projekten, wie EP-Covergestaltung, Corporate Design eines Vereins oder eines Hobbyunternehmens zu wirken. Das Semester in Lüttich würde ich gerne nochmal neu antreten. Es wurde mir sehr schnell genommen und ich konnte es leider nicht angemessen verlassen. Ich bin sehr dankbar für die kurze Erfahrung, da ich in der kurzen Zeit viel erlebt habe und auch viel mitnehmen konnte. Der Erasmus-Austausch ist ein wichtiger Hochschulaustausch, der an unserer und vielen anderen Hochschulen noch lange bestehen bleiben sollte. Der Kernaspekt ist, Menschen an einem fremden Ort ein Gefühl von Zuhause zugeben.