Unser Stipendiat Mikail Bahar war im Rahmen seines Praktischen Jahres von November 2020 bis Februar 2021 am See-Spital in Horgen, Schweiz und berichtet:
Ich durfte von November 2020 bis Februar 2021 das erste Tertial (4 Monate) meines Praktischen Jahres in der Schweiz am See-Spital, einem Regionalkrankenhaus nahe des Zürichsees, absolvieren.
Das Praktische Jahr (PJ) ist ein Pflichtbestandteil des Medizinstudiums und Inhalt des letzten Studienjahres. Das Jahr wird dabei in drei Tertiale unterteilt, bei denen man je 4-monatige Abschnitte im Fachgebiet der Inneren Medizin, Chirurgie und einem Wahlbereich der Medizin absolvieren muss. Für meine Zeit in der Schweiz war ich im Rahmen meines „Pflichttertials“ der Chirurgie zugeteilt.
Den Wunsch einen Teil meiner medizinisch-praktischen Ausbildung in der Schweiz zu absolvieren, hatte ich schon früh. Grund hierfür war schlicht, dass ich von einer Vielzahl von Kommiliton:innen gehört hatte, dass die Ausbildung in der Schweiz praktischer und besser sei als die Ausbildung in Deutschland.
Mitte 2020 machte mich ein guter Freund und Mitstipendiat kurzfristig auf einen freien PJ-Platz aufmerksam. Ich ergriff die Gelegenheit und bewarb mich um den Platz, der mir kurze Zeit später auch zugesagt wurde.
Nachdem ich einen Großteil meiner bisherigen praktischen Einsätze in Deutschland absolviert hatte, freute ich mich auf den Einsatz und die Erfahrungen im Ausland.
Nach Unterschrift der Vertragsunterlagen und Bestehen des 2. Staatsexamens begann mein Aufenthalt in unserem Nachbarland.
Die Klinik stellte mir für die Zeit meines Aufenthalts ein kleines Appartement direkt gegenüber dem Krankenhaus zur Verfügung. Es folgte kurz darauf mein erster Arbeitstag an dem ich mit allen wichtigen Utensilien wie z.B. dem Gebäudeschlüssel und einem Telefon ausgestattet wurde. Nach einem kurzen Rundgang durch die Klinik, konnte ich zum ersten Mal auf meine Station und verbrachte die ersten Tage damit, mich vorzustellen und mich in das EDV-System des Hauses, als auch in die Abläufe einzuarbeiten.
Mein Tag begann mit der Frühbesprechung um 07:00 Uhr im Röntgenraum. Nach der Besprechung trafen sich dann alle Chirurg:innen zum Kaffee in der Mensa. Hier hatte man die Möglichkeit, sich mit seinen Kolleg:innen auszutauschen und auch mal über nicht-medizinische Themen zu reden. Im Anschluss an die morgendliche Kaffeepause verstreute sich das Team in die jeweiligen Einsatzbereiche (OP, Notaufnahme und Stationsdienst). Um 13:00 Uhr trafen sich wieder alle zum gemeinsamen Mittagessen. Um 15:00 Uhr folgte dann die Nachmittagsbesprechung, bei der über den Tag aufgekommenen Fragen geklärt werden konnten. Als letzter Punkt auf der Agenda folge eine weitere Team-Kaffeepause im Anschluss an die Nachmittagsbesprechung.
Den Feierabend konnte man je nach Auslastung von OP/Notaufnahme und Station zwischen 17:30 und 20:00 Uhr einläuten.
Schon früh wurde mir kommuniziert, dass ich hier als PJ Student (das Schweizer Pendant nennt sich „Unterassistent“) als gleichwertiger und (fast) vollwertiger Kollege gesehen wurde.
Was im ersten Moment selbstverständlich klingt, ist in Deutschland leider eher eine Seltenheit als die Regel. In vielen deutschen Kliniken wird man (leider) meist als günstiger Blutentnahmedienst gesehen und meist auch recht wenig in den Stationsalltag eingebunden. Eigene Verantwortung trägt man in Deutschland häufig nicht und wenn, dann im kleinstmöglichen Rahmen.
In der Schweiz hingegen wurde mir am ersten Freitag die Stationsverantwortung für die Belegstation der Chirurgie übergeben. Bei dieser betreut man die Patient:innen von sogenannten Belegärzten oder Belegärztinnen. Das sind Ärzte und Ärztinnen, die meist im Tagesgeschäft eine eigene Praxis haben und an bestimmten Tagen in der Woche in das Krankenhaus kommen, um ihre Patient:innen zu operieren bzw. zu behandeln. Ich durfte während meines Belegdienstes komplett selbständig arbeiten und in regelmäßiger Rücksprache mit den zugehörigen Belegärzten und Belegärztinnen, Patient:innen betreuen. Hierzu gehörten neben der Aufnahme und Entlassung der Patient:innen, die Anpassung und Einstellung der medikamentösen Therapie, Anordnung von bildgebenden und operativen Verfahren, Einleitung von physiotherapeutischen Maßnahmen und die Koordination der Austritte in Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst. Angesichts der enormen Verantwortung war die Zeit als Stations-Unterassistent rückblickend extrem fordernd mit unzähligen Überstunden, jedoch auch ungemein erfüllend und unvergleichbar lehrreich. Zusammen mit den Nacht- und Notdiensten, zu denen man auch als PJ-Student/Unterassistent eingeteilt ist, war diese Zeit mit Abstand die effektivste Vorbereitung auf meine anstehende Assistenzarztzeit, die ich jemals im Studium erhalten habe.
Immer mal wieder musste man den Stationsdienst unterbrechen, um den Chirurg:innen und Belegärzten und Belegärztinnen bei den Operationen zu assistieren. Das Operationsportfolio des Hauses war hier sehr vielfältig: Von kleineren Frakturen bis hin zu komplexen neurochirurgischen Eingriffen, wurde alles durchgeführt. Als Student konnte ich so bei vielen spannenden Operationen mitwirken und einen guten Überblick über die verschiedensten chirurgischen Disziplinen erhalten.
Neben dem klassischen Stationsdienst rotierte ich für eine Zeit in die Notaufnahme und unterstützte das Haus mit Corona-Diensten bei der Pandemiekontrolle.
Besonders interessant empfand ich den Einblick in die Abläufe des Krankenhauses. Das gesamte Krankenhaus lief sprichwörtlich wie „ein Schweizer Uhrwerk“. Die Blutentnahmen waren vor Dienstantritt durch das zuständige Personal abgenommen, die Untersuchungen wurden sehr flott und zuverlässig durchgeführt. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, dass der Krankenhausablauf hier eine Schwäche gezeigt hat. In Deutschland habe ich da andere Erfahrungen gemacht.
Abschließend blicke ich sehr positiv auf meine Zeit in der Schweiz zurück. Angesichts der aktuellen Corona-Lage und der langen Arbeitszeiten, habe ich zwar wenig vom Land entdecken können, jedoch sammelte ich viele sehr wertvolle Skills und Erfahrungen, die mir den Einstieg in die Assistenzarztzeit vereinfachen werden. Ich bin sehr dankbar für meine Zeit in der Schweiz und kann nur jedem und jeder Medizinstudierenden nachdrücklich empfehlen, auch einen Teil des Praktischen Jahres in der Schweiz zu absolvieren.
Wie ein typischer Nachtdienst beginnt, erfahrt ihr hier.