„Weil Wissen von einem Standpunkt vermittelt wird, wünsche ich mir für die Zukunft, dass wir gerade als muslimische Wissenschaftler:innen sichtbarer werden und Perspektiven in bedeutsame akademische sowie gesellschaftliche Diskurse vermitteln. Dafür steht ja nicht zuletzt auch Avicenna, der Namensgeber unseres Studienwerkes und ich möchte meinen bescheidenen Beitrag dazu leisten.“
Wie bist Du auf das Avicenna-Studienwerk aufmerksam geworden?
Eigentlich war ich der festen Überzeugung, dass ein Stipendium für mich nicht machbar ist. Mehrere Freunde, die im ersten Jahrgang ins Avicenna-Studienwerk aufgenommen wurden, haben mir dann von einer möglichen Förderung von Muslim:innen erzählt. Zuerst habe ich abgeblockt, aber zum Glück blieben sie allesamt hartnäckig. Besonders eine Freundin hat immer wieder von der Besonderheit des Avicenna-Studienwerks geschwärmt und die Seminarangebote des ideellen Förderprogramms gezeigt. Auch die Möglichkeit mit Studierenden anderer Fachrichtungen aus der ganzen Bundesrepublik zusammenzukommen haben mich gereizt und schlussendlich dazu bewogen, eine Bewerbung zu wagen. 2015 bin ich dann als zweiter Jahrgang ins Studienwerk aufgenommen worden. Seitdem ich Stipendiat bin hat sich meine Perspektive auf das Studium verändert, ich fasse es vielmehr als einen sozialen Vernetzungsprozess mit unterschiedlichsten Menschen auf. Während ich meinen Bachelor im eher technischen Infrastrukturmanagement absolviert habe, habe ich für meinen Master einen sozialwissenschaftlichen, aber dennoch anschlussfähigen Bezug gesucht. So wurde es nun Humangeographie, in dem alltägliche Handlungen des Menschen im Vordergrund stehen.
Insbesondere das soziale Umfeld des Studienwerkes und die Betreuung durch die Geschäftsstelle schätze ich sehr. Von Anfang an wurde ich mit Namen angesprochen und persönlich beraten. In großen Studienwerken mit tausenden Stipendiat:innen ist man nur einer von vielen, das ist beim Avicenna-Studienwerk nicht so. Obwohl wir jedes Jahr größer werden, sind wir immer noch ein überschaubarer Laden (lacht). Durch den persönlichen Bezug war ich auch von Anfang an motiviert mich selbst aktiv einzubringen und ehrenamtlich unterschiedliche Aufgaben zu übernehmen.
Welche Erfahrungen hast Du mit dem Studienwerk gemacht?
Eine wichtige Grundüberzeugung des Studienwerks heißt Gestalten. Das betrifft vor allem die Gestaltung von vielen Aktivitäten: Sei es das Jahrestreffen, Podiumsdiskussionen oder regionale Veranstaltungen – durch mein Engagement im Studienwerk habe ich viele Erfahrungen gesammelt. Beispielsweise habe ich als Regionalgruppensprecher u.a. die Verantwortung für die Koordination eines Jahresbudgets bekommen und musste mit der Regionalgruppe überlegen „Was wollen wir dieses Jahr schaffen?“. Auch wenn die Regionalgruppenarbeit oft herausfordernd ist, habe ich dadurch gemerkt, dass meine Kompetenz im Moderieren und Ausloten von unterschiedlichen Gruppeninteressen liegt. Gerade deswegen war auch die Entscheidung einen interdisziplinären und sozialwissenschaftlichen Master zu wählen der Richtige. Ich kann sagen, dass mein Stipendium und meine erlernten Studienfertigkeiten sich gegenseitig unterstützen – jedes Mal aufs Neue.
Durch das Studienwerk wurden mir außerdem drei unvergessliche Auslandsaufenthalte ermöglicht. Besonders war zuletzt meine Zeit auf Sansibar, wo ich im Rahmen eines eigens geplanten Feldforschungsaufenthalts für die Masterarbeit die Wechselbeziehung von ökonomischen und religiös geprägten Handlungsmustern im Globalisierungskontext betrachtet habe. Unabdingbar für einen erfolgreichen Zugang zu einem anderen Kulturkreis – und damit dem Forschungserfolg – ist die Kommunikation in der lokalen Sprache. Durch die Unterstützung von Avicenna konnte ich vor Ort einen Kiswahili Sprachkurs besuchen. Damit konnte ich die begrenzte Zeit der Feldforschung äußerst effektiv nutzen und so verbesserten Zugang zu den Menschen Sansibars finden. Ohne die finanzielle Förderung Avicennas wäre dies in der knappen Zeit kaum möglich gewesen.
Nicht zu vergessen ist der zweite Baustein des Avicenna Mottos: Verbinden. Das äußert sich insbesondere bei Sommerakademien und dem großen Jahrestreffen. Dort kommen der interdisziplinäre Austausch und die kulturelle Vielfalt des Studienwerkes in der ganzen Bandbreite zum Tragen. Solche Veranstaltungen haben mir spannende Kontakte ermöglicht und ganz neue Sichtweisen aufgezeigt. Im Rahmen des Stipendiums habe ich wirklich Freundschaften fürs Leben geschlossen!
Welche Pläne hast Du für die Zukunft?
Das Forschen im interkulturellen Kontext macht mir großen Spaß und reizt mich sehr. Daher möchte ich gerne eine Promotion im humangeographischen Bereich angehen. Das geht auch vor allem dadurch, dass ich durch das Stipendium meinen Notendurchschnitt erheblich verbessern konnte. Ich habe gemerkt, dass das soziale Umfeld eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt: Heute habe ich Zeit, neben meiner Familie viele Netzwerke außerhalb meines Studiums wahrzunehmen und zugleich mich im Institut mit Kommiliton:innen, Lehrbeauftragten und Professor:innen auszutauschen und mit meinem Forschungsgegenstand in der Bibliothek verweilend zu vertiefen. Nur eine Ausgewogenheit zwischen sozialen und wissenschaftlichen Ansprüchen ermöglicht das von Humboldt formulierte „ganzheitliche Bildungsideal“. Dass Humboldt dabei der Begründer der Humangeographie ist, und ich in dieser Tradition stehe, macht mich daher besonders glücklich.
Weil Wissen aus einem Standpunkt und einer Perspektive vermittelt wird, wünsche ich mir für die Zukunft, dass wir gerade als muslimische Wissenschaftler:innen sichtbarer werden und Perspektiven in bedeutsame akademische und gesellschaftliche Diskurse vermitteln. Dafür steht ja nicht zuletzt auch Avicenna, der Namensgeber unseres Studienwerkes und ich möchte meinen bescheidenen Beitrag dazu leisten.