Im Wintersemester 2016/17 habe ich ein Auslandssemester an der Universiti Teknologi Mara in der Stadt Shah Alam in Malaysia absolviert. Nicht selten stand ich vor der Frage vieler neugieriger Menschen, warum ein Ingenieur-Student aus Deutschland sich ausgerechnet für ein Auslandssemester in Malaysia entschieden hatte.
Die Antwort auf diese Frage hängt sehr stark mit meinen persönlichen Erwartungen an einen Auslandssaufenthalt ab. Meine größte Motivation für ein Semester im Ausland war neben der fachlich-akademische Fortbildung die Erweiterung meines kulturellen Horizontes. Die Länder Südostasiens zeichnen sich vor allem durch religiös-kulturelle Vielfalt aus, da neben den großen Weltreligionen auch indigene Glaubenssysteme existieren. Einen besonderen Anreiz für mich aber stellte innerhalb der ASEAN-Staaten Malaysia dar, da es einerseits vorwiegend muslimisch geprägt ist und für die dortigen Verhältnisse ein wirtschaftlich stark aufstrebendes Land ist.
In Malaysia angekommen machte mir zunächst das tropische Klima sehr zu schaffen, das mit ganzjährig konstant hoher Luftfeuchtigkeit und Temperatur den Alltag unglaublich erschwert. Deswegen legen die Menschen Malaysias kaum lange Fußwege zurück und nutzen auch sehr selten Fahrräder. Autos, Motorräder und -roller sind dank des günstigen Benzinpreises unangefochten die meistgenutzten Fortbewegungsmittel.
Mein erster Eindruck in Malaysia war, dass die Menschen viel langsamer und geduldiger agierten wie in Deutschland: Sei es im Verkehr, in Verwaltungsinstitutionen, während Vorlesungen oder an unsäglich langen Schlangen vor Geldautomaten. Anfangs hat mich diese apathische Mentalität, die mit generell langen Wartezeiten verbunden ist, sehr geärgert, aber mit der Zeit habe ich erkannt, dass dieses Verhalten der Menschen sowohl kulturell bedingt als auch ein Reflex auf die ständige Hitze sein muss. Durch dieses Auftreten ist ein großer Teil der Bevölkerung sehr gesprächsfreudig und führt daher zu häufigen Small-Talks im Alltagsleben. Somit lernt man mit der Zeit sehr viel über das Land und die Denkweise seiner Menschen. Genau solche spontanen Unterhaltungen sind elementar für einen kulturellen Austausch und müssen eben von den Menschen initiiert werden, die Brücken zwischen Kulturen bauen möchten.
Die offizielle Sprache in Malaysia ist „Bahasa Melayu“, die sich vom sehr ähnlichen Indonesischen allein durch den Wortschatz abgrenzt. Man muss sagen, dass die malaysische Sprache aufgrund der sehr simplen Grammatik eine der einfachsten Sprachen der Welt ist, weswegen ich auch innerhalb von wenigen Monaten die Alltagssprache beherrschen konnte. Auch wenn mit dem stark asiatischen Akzent das Englisch etwas gewöhnungsbedürftig ist, wird es von großen Teilen der Bevölkerung gut bzw. sehr gut beherrscht, was auch unter anderem daran liegen dürfte, dass Malaysia eine lange Zeit von den Briten kolonisiert wurde. Daher hatte ich als internationaler Student zu keiner Zeit Probleme, mit den Menschen zu kommunizieren.
Als ein Student, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und sich mit dem Islam identifiziert, war es auch eine erstmalige Erfahrung, ein halbes Jahr in einem Land zu leben und zu studieren, in dem ein Großteil der Bevölkerung muslimisch ist. Das einfache Auffinden von kleinen Gebetsräumen (suraus) und halal Restaurants, der täglich fünfmal ausgerufene Gebetsruf des Muezzins und das gemeinschaftliche Gebet mit anderen Gläubigen hat mich sehr bereichert und mir das Leben als ein praktizierender Muslim durchaus erleichtert. Man muss wissen, dass der Islam in Malaysias Gesellschaft seit dem Einfluss durch die vielen arabischen Kaufleute seit dem 15. Jahrhundert omnipräsent ist und einen sehr hohen sozialen Stellenwert hat. Gerade als Muslim hatte ich wegen der religiösen Nähe einen leichten Zugang zu meinen Kommilitonen und Ihren Familien, von denen ich nicht wenige Male zum Essen eingeladen wurde.
Das Studium an meiner Partneruniversität UiTM in Shah Alam war definitiv nicht zu vergleichen mit meinem Studentenleben in Deutschland. Schon allein der Campus war riesig und hatte eigene Buslinien, um einen Teil der ca. 40.000 Studenten zu befördern. Ich selbst war ein Semester lang an der Fakulti Kejuruteraan Awam (Fakultät des Bauingenieurwesens), die ca. 4.000 Studenten zählt.
Ich habe während meines Studiums an diversen Vorlesungen wie z.B. Engineering Hydrology, Environmental Engineering und an umweltspezifischen Laboruntersuchungen teilgenommen. Auffällig war, dass viele Inhalte aus amerikanischen Lehrbüchern stammten und keinesfalls einfach zu meistern waren. Dank hilfreichen malaysischen Studenten und auf Fragen sehr hilfsbereit reagierenden Professoren habe ich eine Routine entwickelt, mit der ich erfolgreich durch das Semester gekommen bin. Nebenbei konnte ich als Gaststudent Vorlesungen an der Akademie der islamischen Wissenschaften besuchen, die Themen wie z.B. Islamic Entrepreneurship, Islamic Banking Theory und Business Mathematics in Muamalat beinhalteten. Diese freiwillig besuchten Kurse haben mich unglaublich bereichert und mein Wissen im Bereich des wirtschaftlichen Handelns aus einer islamischen Perspektive vertieft.
Dieses Semester hat mir zudem die Möglichkeit eröffnet, sieben neue Länder mit ihren ganzen kulturell-historischen Hintergründen und atemberauben Naturspektakeln wahrzunehmen. Vor allem habe ich gelernt, dass ein Land eher weniger durch seine Sehenswürdigkeiten und seinen Wohlstand sehenswert wird. Es ist viel mehr die persönliche Interaktion mit Menschen unterschiedlicher Kulturen, die das Erlebnis letztendlich in dem jeweiligen Land unvergesslich machen. Ich blicke daher auf eine Zeit in Malaysia, in der ich neben meinem intensiven Studium mit der Kombination von islamischen Disziplinen sehr viele neue Freundschaften mit Menschen aus der ganzen Welt abgeschlossen habe, die ich ein Leben lang nicht vergessen werde. Ein besonderer Dank hierbei gilt an das Avicenna-Studienwerk, das mir die finanziellen Rahmenbedingungen für diese tolle Zeit ermöglicht hat. Daher würde es mich umso mehr erfreuen, wenn andere Stipendiaten/Innen dieses Land besuchen und mit all seinen Facetten erkunden würden.
Burak Barut ist Stipendiat des Avicenna-Studienwerks und studiert Infrastrukturmanagement an der Hochschule für Technik in Stuttgart.